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Kombinatsdirektoren

Dr. Adolf Eser: Von Alaun bis Zitronensäure – Eine Buchrezension von Dr. Dieter Knoch

04.04.2016 10:00:00


REZENSENT: Dr. Dieter Knoch, Hoppegarten März 2016

Buch: Adolf Eser:  Von Alaun bis Zitronensäure – Ein Streifzug durch die Geschichte

Erschienen 2015 im united p.c. Verlag, Preis 29,90 €

Endlich ist es da! Es ist die umfassendste historische Darstellung der technologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung der Chemieregion Bitterfeld-Wolfen, die vom Anfang des 20.Jahrhunderts bis zum Ende der DDR zu den größten, bedeutendsten und innovativsten Chemiestandorten in Deutschland zählte.

Mit diesem Buch schließt der Autor, Dr. Adolf Eser als Insider und letzter Generaldirektor des Chemiekombinates Bitterfeld eine bisherige Lücke in der Wirtschaftsliteratur über die großen Chemiekombinate der ehemaligen DDR.
(So gibt es bereits komplexe Literatur zum Petrolchemischen Kombinat Schwedt, zu Buna und Leuna, zum Stickstoffwerk Piesteritz, zur Filmfabrik Wolfen, zum Synthesekombinat Schwarzheide u.a.)
Das Chemiekombinat Bitterfeld (CKB) ging 1969 aus der Fusion des Elektrochemischen Kombinates Bitterfeld und der Farbenfabrik Wolfen hervor sowie der Angliederung weiterer Kombinatsbetriebe in der Republik (S. 152 ff).
Zur Entstehung und Entwicklung beider Werke in Bitterfeld und Wolfen und auch des daraus gebildeten Stammbetriebes des Kombinates gibt es eine Reihe von themenbezogenen Veröffentlichungen, die der Autor auch als Quellen und weiterführende Literatur aufführt und an denen er punktuell beteiligt ist.

Dieses Buch ist kein Roman zur abendlichen Entspannung, sondern ein sehr anspruchsvolles Sachbuch mit einem umfangreichen Volumen an Fakten und Daten.
Dem Autor ist es gelungen, die Komplexität der Entwicklung dieser Chemieregion darzustellen, die sowohl die technologischen und Chemieinnovationen als auch die ökonomischen und sozialen Faktoren und die Wirkung auf die Menschen in dieser Region umfasst.

Aus der Fülle der behandelten Themen sollen folgende besonders hervorgehoben werden:

1. Sehr deutlich behandelt der Autor die Rolle der IG Farben, der die meisten Werke der Region bis zum Ende des 2. Weltkrieges gehörten, und ihre Verquickung in die Vorbereitung und Durchführung beider Weltkriege.
Auch in den Bitterfelder Werken der IG Farben wurden Giftgase für den 1. Weltkrieg produziert. Ihre Werke an Rhein und Main beteiligten sich mit dem Giftgas Zyklon B an der massenhaften Judenvernichtung in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten.
Wer weiß heute noch, daß alle IG-Farben-Chefs in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen freigesprochen wurden ? (S. 100 ff)

2. Der Autor geht ausführlich auf die in der Öffentlichkeit - schon zu DDR-Zeiten - diskutierte Umweltproblematik im Raum Bitterfeld-Wolfen ein und weist nach, daß der Ursprung der hohen Belastungen bereits in der IG-Farben-Zeit liegt. Ihre Werke hatten keine Abwasserbehandlung und leiteten alle Abwässer in die Mulde. Luftbelastungen entstanden in hohem Maße durch die Kohlegruben und ihre Verarbeitungsfabriken, nicht nur durch die Chemie.
In der DDR-Zeit verstärkten sich trotz umfangreicher Gegenmaßnahmen die Probleme mit Abluft und Abwasser, was im Buch sehr kritisch behandelt wird.
Detailliert werden die zahlreichen Maßnahmen zur Reduzierung der Umweltbelastungen und zur Verbesserung der Arbeits-und Lebensbedingungen nachgewiesen, so durch ein breites Programm zur Rationalisierung, Stabilisierung und Modernisierung (RSM) der Grundmittel und die Stilllegung von 20 Altanlagen. (S. 345 ff)

3. Breiten Raum nehmen Forschung und Entwicklung von Erzeugnissen, Verfahren und Technologien ein. Hier gehörte die Region schon zu Vorkriegszeiten zu den innovativsten in Deutschland. Diese Tradition wurde zu DDR-Zeiten nahtlos fortgesetzt. Das CKB gehörte zu den Kombinaten mit dem höchsten Forschungspotential, sowohl personell als auch finanziell..
Dazu zählten Schlüsseltechnologien wie die Biotechnologie und die breite Anwendung der
EDV, besonders in der Prozess-Steuerung. (S. 168 ff)
Die primäre Bedeutung von Forschung und Entwicklung ergab sich auch aus der enormen Sortimentsbreite des Kombinates. Das CKB hatte die breiteste Erzeugnispalette aller Chemiekombinate.

4. Die detaillierte Darstellung des Arbeitsvermögens (ca. 18.000 Beschäftigte im Stamm- betrieb) vermittelt tiefe Einblicke in Fragen der Qualifizierung, der Mitbestimmung, der Rolle der Gewerkschaften vor Ort, aber auch in auftretende Konflikte in und mit den Arbeitskollektiven. (S. 317 ff)
Der Autor bezieht eindeutige Positionen zum Einsatz von Strafgefangenen, ausländischen Arbeitskräften und Bausoldaten im Stammbetrieb des CKB.
Beeindruckend ist die Darstellung der enormen sozialen Leistungen für die Werktätigen des Kombinates, v.a. des Stammbetriebes, aber auch für die Einwohner des Territoriums. (S.360 ff)

5. Einen großen Abschnitt widmet der Autor der Abwicklung des Kombinates durch die Treuhandanstalt Anfang der 90er Jahre. Hier wird fokussiert und völlig zutreffend die Strategie der Alt-BRD zur Deindustrialisierung der DDR, zur Zerschlagung der Kombinate bzw.die Teilprivatisierung an neue Eigentümer (über 90% aus der Alt-BRD) sichtbar.
Im Ergebnis dessen beweist der Autor, daß einer der größten deutschen Chemiestandorte mit enormer Sortimentsbreite infolge der stofflichen Verflechtung defacto verschwunden ist mit all seinen sozialen Auswirkungen, die bis heute anhalten.
In der Dokumentation des heutigen Verbandes der Chemischen Industrie Deutschlands sind alle wichtigen Chemieparks der Bundesrepublik gelistet - Bitterfeld-Wolfen ist nicht mehr dabei! Daran ändert auch der entstandene Gewerbepark mit mittelständischen Firmen und einigen isolierten Chemieansiedlungen (z.B. Bayer/Aspirin) nichts.


ZUSAMMENFASSUNG


Das Buch ist eine Fundgrube für alle historisch Interessierten, für Freunde der Chemie, für alle ehemaligen Mitarbeiter des CKB, für Studenten und all jene, die sich an die großen Leistungen der Menschen in der Region und im Kombinat erinnern wollen, aber auch an die Verwerfungen und sozialen Abstiege in der Wendezeit.
Das Buch ist allen zu empfehlen, die objektiv und ohne Vorbehalte erfahren wollen, wie und warum dieser große Chemiestandort aus politischen und Konkurrenzgründen zerschlagen wurde.
Das Buch ist nicht einfach zu lesen und erfordert hohe Konzentration, v.a. wegen seiner vielen fachspezifischen Begriffe und Beschreibungen, aber auch wegen seiner zu tiefen Gliederung in den 4 Komplexen der Entwicklung bis 1925, von 1925 -1945, von 1945 - 1990 und von 1990 bis zur Gegenwart.
Der Verlag hätte den Autor beraten müssen, die Gliederungspunkte mit Seitenangaben zu versehen, um das Auffinden von gesuchten Abschnitten zu erleichtern.

Dem Autor, Dr. Adolf Eser, sei gedankt für diese aufwändige Arbeit, die sich über viele Jahre erstreckte und ein enormes Pensum an Quellenstudium, Aufarbeitung eigener Unterlagen aus der aktiven Zeit im Kombinat und tangierender Literatur erforderte.
Ich wünsche mir, daß das Buch viele Leser findet.

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