Eisenhüttenstadt – Blick auf das Eisenhüttenkombinat Ost (EKO)

Kombinatsdirektoren

Eckhard Netzmann zu Besuch im SKET
Uwe Trostel

11.09.2014 17:12:22

Eine Veranstaltung aus der Reihe »Lesungen und Debatten rund ums Buch JETZT REDEN WIR!« am 11.09.2014 im Technikmuseum Magdeburg; durchgeführt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Magdeburg; Moderator: Dr. Frank Thiel, MdL von Sachsen-Anhalt, Wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE
Gast: Eckhard Netzmann, GD VEB Schwermaschinenbaukombinat „Ernst Thälmann“ (SKET)

von Uwe Trostel, im September 2014

Die erste Überraschung lag schon vor dem eigentlichen Beginn der Lesung: Ständig mussten neue Stühle herbeigeschafft werden, damit alle Teilnehmer einen Sitzplatz fanden. Schließlich waren 150 Ehemalige aus dem SKET, dem SKL, aus anderen Schwermaschinenbaubetrieben, der Technischen Hochschule/Universität Magdeburg, Mitglieder des Rates des Bezirkes und viele andere erschienen.

Die zweite Überraschung war der Ehrengast der Veranstaltung: Eckhard Netzmann, langjähriger Generaldirektor des SKET, obwohl doch schon etwas älter geworden, aber aufgetreten wie in besten Tagen. Natürlich waren viele gekommen, um Netzmann wieder zu sehen. Denn – wie er selbst sagte – er hatte seit der Wende den Betrieb nicht mehr betreten. Und keiner wurde enttäuscht. Netzmann trat auf, wie ihn noch viele in Erinnerung hatten: kompetent, energisch, ohne Umschweife zur Sache kommend, kritisch und klare Kante zeigend. Gleich vorweg brachte er unmissverständlich zum Ausdruck, dass er die Tiraden über die heruntergewirtschaftete, kaputte und hoch verschuldete DDR-Misswirtschaft nicht mehr hören könne. Anhand überzeugender Fakten wies er nach, dass die Wirtschaft der DDR, das SKET als deren fester Bestandteil und natürlich die große Mehrheit der Beschäftigten des Betriebes eine fleißige, effektive und auf das Gemeinwohl gerichtete Arbeit geleistet hatten und viele seinerzeitigen Erfahrungen auch heute noch bedeutend sind.
An dieser Stelle sei eingefügt, dass SKET mit über zehntausend Beschäftigten allein am Standort Magdeburg der größte und technisch fortgeschrittenste Betrieb war. Und durchaus viele Mitarbeiter begriffen es als ein Privileg, im bedeutendsten Betrieb der Stadt arbeiten zu können.

Netzmann erläuterte neben dem persönlichen Werdegang vom Werkzeugschlosser zum Generaldirektor (später dann zum stellvertretenden Minister für Schwermaschinen- und Anlagenbau) auch wesentliche Etappen der Entwicklung des SKET selbst. Wohltuend: Seine Einschätzungen zu seinem Mentor und Freund Ernst Hoberg. Dieser, eine Legende unter den Generaldirektoren der DDR, hatte frühzeitig die Fähigkeiten Netzmanns erkannt und systematisch gefördert. Frühzeitig muss er gewusst haben, dass Netzmann einmal sein Nachfolger werden würde.

Netzmann würdigte die Aufbauleistung der Angehörigen des SKET nach dem Krieg und vergaß nicht zu erwähnen, dass die Amerikaner nach der Bombardierung viele Lastwagen mit Patenten und technischen Unterlagen aus dem Betrieb abgefahren und damit den Neubeginn zusätzlich erschwert hatten. Der Aufbauwille der jungen Generation und die Nutzung der Erfahrung Älterer, die sich gleichfalls in den Dienst des Neuaufbaus stellten, bewirkten schließlich in einem langen, komplizierten und schwierigen Prozess, dass sich das Thälmannwerk zu einem der bedeutendsten Schwermaschinenbaukombinate der DDR entwickelte – wahrscheinlich zu dem bedeutendsten überhaupt. In viele Länder gelieferte Walzwerkausrüstungen, moderne Krane, Spitzenniveau verkörpernde Kabel- und Verseilmaschinen, Zementwerke und viele andere hochkomplizierte Maschinenbauerzeugnisse prägten das Produktionsprofil des Kombinats.
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass das SKET vor allem für die UdSSR produzierte, was eine langfristige Auslastung der Kapazität garantierte. Aber auch in viele andere Länder wurden Erzeugnisse des SKET geliefert und sind teilweise noch heute dort im Einsatz.
Natürlich wäre Netzmann nicht Netzmann, wenn er nicht auch ausführlich auf Schwierigkeiten und Probleme eingegangen wäre. Ganz zuvorderst auf den Umstand, dass nach Polen eine staubfreie Zementfabrik geliefert werden sollte; bei der Einweihung kam der polnische Bauminister aber nicht umhin festzustellen, dass wohl vielmehr eine zementfreie Staubfabrik geliefert worden war. Durchaus selbstkritisch erklärte Eckhard Netzmann, dass er in diesem Moment am liebsten im Erdboden versunken wäre. Netzmann verkniff sich auch nicht zu erläutern, dass die Lösung aus dieser außerordentlichen Situation darin bestand, eine äußerst gewagte Entscheidung zu treffen, die ihn seinen Posten hätte kosten können. Netzmann nutzte dieses Beispiel, um zu zeigen, wie in der DDR-Wirtschaft Verantwortung und Risikobereitschaft zu Spitzenleistungen führte.
Weitere Beispiele, in welch hohem Maß Eigenverantwortung eine Rolle spielte, schmückten immer wieder den Bericht des ehemaligen Generaldirektors. Beeindruckend die Episode, wie er fünfhundert Tonnen Guss außerhalb des Planes an seinen Kollegen Herbert Korker – damals Generaldirektor des bedeutenden Kombinates „Umformtechnik Erfurt“ – lieferte, die dazu beitrugen, dass Kroker einen höchst bedeutenden Auftrag in die BRD ausführen konnte. Dieser Auftrag brachte der DDR hohen wirtschaftlichen Nutzen ein.

Im zweiten Teil der Veranstaltung antwortete Netzmann auf Fragen der Teilnehmer. Man merkte den Fragestellern an, wie nahe ihnen die Erinnerung an ihre damaligen Anstrengungen ging, nicht zuletzt angesichts heutiger Diskriminierung zahlloser Arbeitsbiografien.
Natürlich stand ganz am Anfang der Diskussion die Frage, warum heute von SKET so gut wie nichts mehr existiert. Netzmann äußerte sich zu dieser Frage diplomatisch geschickt: Er war zur Wendezeit, als die Treuhandanstalt das Sagen bekam, schon lange nicht mehr im SKET tätig, sodass er sich zu Einzelheiten nicht äußern könne. Aus seiner Gesamtübersicht zu jener Zeit und ganz persönlichen Erfahrungen mit der Treuhandanstalt und dem Kraftwerksanlagenbau der DDR bestand für ihn jedoch kein Zweifel, dass die Zerschlagung des SKET eine gezielte und bewusste Handlung war, und nicht, wie der eine oder andere annimmt, ein „Fehler“, der nach der Wende begangen wurde. SKET steht somit in der Reihe jener Kombinate, deren Konkurrenz durch westdeutsche Konzerne nicht geduldet werden konnte und die u.a. auch deshalb von der Bildfläche des vereinten Deutschlands verschwinden mussten.

In der Diskussion wurden weitere Probleme angesprochen: verfehlte Mietpreispolitik, eine generell problematische Preispolitik, unflexible Entscheidungen zentraler Organe, geringe Arbeitsproduktivität und Erscheinungen von fehlender Intensität der Arbeit usw. Zu manchem könnte man eine andere Meinung haben oder noch viele weitere Beispiele anfügen. Bei einem hatte er aber unbedingt Recht: Der Sozialismus der DDR war nur ein Modul des sozialistischen Weltsystems, welches als Gesamtsystem in der Auseinandersetzung unterlag. Und deshalb konnte der Sozialismus in der DDR, selbst wenn der eine oder andere hausgemachte Fehler vermieden worden wäre, nicht gerettet werden.

Übrigens: Frau Rohnstock, Inhaberin von Rohnstock Biografien, kam, wenn auch etwas verspätet, ebenfalls zu der Veranstaltung, wurde mit viel Beifall begrüßt und hatte kaum genügend Bücher dabei, um der Nachfrage gerecht zu werden.

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