Eisenhüttenstadt – Blick auf das Eisenhüttenkombinat Ost (EKO)

Kombinatsdirektoren

Lehrstücke - Erinnerungen von DDR-Kombinatsdirektoren in dem Sammelband »Jetzt reden wir«
Wolfram Adolphi

03.02.2014 17:23:21

Die Enquete-Kommission des Brandenburger Landtags zur Untersuchung des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit beendete ihre Arbeit kürzlich mit dem Aufruf, in den Schulen mehr über die DDR zu reden. Die folgende Rezension versteht sich als Bewerbungsschreiben zur Mitwirkung.

Zum Beispiel mit dem Hinweis, daß, wer in der DDR Wirtschaftsboß war, die Aufgabe hatte, sein Unternehmen zu rationalisieren und auf dem Weltmarkt mitzumischen, ohne eine einzige Beschäftigte, einen einzigen Beschäftigten zu entlassen. Oder dem, daß diese Bosse – die Generaldirektoren, abgekürzt GD – damit nicht reich geworden sind. »Wenn ich nach der Wende gefragt wurde, was ich als Generaldirektor in der DDR verdient habe, dann konnte ich wahrheitsgemäß berichten, daß die Klofrau am Frankfurter Hauptbahnhof am Ende des Tages mehr Geld in der Tasche hatte als ich«, gibt Heiner Rubarth in dem Band »Die Kombinatsdirektoren: Jetzt reden wir« zu Protokoll. Er war einst stellvertretender Generaldirektor des VEB Bandstahlkombinat, dann des VEB Werkzeugmaschinenkombinat und schließlich Generaldirektor des VEB Kombinat Elektromaschinenbau.
Eigene Erfahrungen
Was für Lebensläufe. Rubarth zum Beispiel: Jahrgang 1940, in Breslau geboren, 1945 zehn Monate Fluchtwirrnis, Grundschule in Mühlberg an der Elbe, Lehre zum Maschinenschlosser, 1961 Ingenieur für Walzwerk- und Hüttentechnik und bald darauf schon Chef. Oder Lothar Poppe: Jahrgang 1924, 1949 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück, 1950 Former in Gröditz, Ingenieurschule, 1954 Haupttechnologe, dann Direktor im VEB Gießerei und Maschinenbau Schmiedeberg, 1969 Direktor im Kombinat für Gießereiausrüstungen und Gußerzeugnisse Leipzig. Oder Eckard Netzmann: 1938 geboren, mit 14 in die Werkzeugschlosserlehre, mit 20 Umformtechnik-Ingenieur, mit 28 Diplom im Fernstudium, mit 41 GD im Zementanlagenbau, dann stellvertretender Minister, 1983 rausgeschmissen, hartnäckig geblieben, Leitungsaufgaben im VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau – und 1987 bestellt, das KKW Greifswald ans Netz zu bringen.

Das konnte auch einem Netzmann nicht mehr gelingen. Aber: Er fand – wie nicht wenige seiner Kollegen – trotzdem in der Nachwendewirtschaft seinen Platz. Wie das ging im einzelnen in der DDR und in der Wendezeit und später, welches Können da einzubringen war und welcher Erfahrungsreichtum geschätzt wurde im Westen oder einfach nur abgetan mit Spott oder ungläubigem Kopfschütteln, ist hier nachzulesen. Neben den schon Genannten kommen zu Wort die GD Herbert Roloff, Manfred Dahms, Karl Döring, Herbert Richter und Hans-Joachim Lauck.

Initiatorin und Seele des Projektes, aus dem das Buch erwuchs, ist die Germanistin und Autobiographikerin Katrin Rohnstock. Sie, die sich mit ihrem Unternehmen »Rohnstock Biografien« in Berlin längst einen Namen gemacht hat, stieß auf die erstaunliche Tatsache, daß in der Erinnerungsliteratur über die DDR die Wirtschaft bisher kaum eine Rolle spielt. Sie wurde neugierig und machte sich mit ihrem Team auf die Suche, fragte herum, schrieb Einladungen, und seit Herbst 2012 treffen sich GD, Wirtschaftsfunktionäre und Wirtschaftswissenschaftler aus der DDR zu regelmäßigen Debatten. Bisheriger Höhepunkt: eine Ganztagsveranstaltung mit Vorträgen und Gesprächsrunden am 8. Dezember 2013. Und nun eben dieses Buch.

Das natürlich voller Widersprüche ist. Und sein Untertitel »Was heute aus der DDR-Wirtschaft zu lernen ist« vielleicht zu trotzig. Aber das ist kein Grund, es nicht zur Hand zu nehmen. Denn es enthält nicht nur Erinnerungen an konkret gelebtes, verantwortungsvolles, herausforderungsreiches Leben – es reden hier die Chefs von Unternehmen mit dreißig- bis hunderttausend Beschäftigten! –, sondern es ist auch ein Lehrstück über das komplizierte Nebeneinander von Erinnerung und wissenschaftlicher Durchdringung der Geschichte.
Rahmensetzungen
Neben den Erinnerungen der GD stehen im Buch Beiträge von Wirtschaftsfunktionären aus der Zentrale (Franz Rudolph, Peter Grabley, Norbert Langhoff, Klaus Blessing), vom Ökonomen Harry Nick, vom Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler und von der Kulturwissenschaftlerin Isolde Dietrich. Da hat das Analytische, Zusammenfassende und Bewertende selbstverständlich Vorrang. Aber das eigentliche Gewicht des Buches machen die GD-Erzählungen aus. Sie müssen, ja dürfen gar nicht immer gleich auf die Frage zugespitzt werden, wieso am Ende doch alles gescheitert sei. Nein, es geht um das Erzählen selbst. Das Erzählen ist in sein eigenes Recht gesetzt. Die Leserinnen und Leser haben ihren eigenen Kopf, ihre eigenen Erfahrungen und eigenen Erwartungen, es zu verarbeiten. Und außerdem gibt es im Buch ja auch noch Rahmensetzungen. Die Einführung stammt von Christa Luft, Wirtschaftsministerin in der Modrow-Regierung November 1989 bis März 1990 und nachfolgend langjährige Wirtschafts- und Haushaltsexpertin der PDS im Bundestag. Luft unterstreicht, daß die DDR »ein hochindustrialisiertes Land mit moderner Landwirtschaft und weltweiten Außenhandelsbeziehungen« gewesen ist und an ihrem Ende keineswegs »pleite« war. Vielmehr wurde ihre Wirtschaft nach der Wende einer Treuhandpolitik geopfert, der es »nicht im Schumpeterschen Sinne um ›schöpferische Zerstörung‹« zur Schaffung von »etwas Neuem« ging, sondern um Destruktion mit dem »Zweck, mögliche Konkurrenten auszuschalten und sich deren Märkte anzueignen«. Zugleich hält sie nicht mit selbstkritischem Rückblick auf die Erstarrung der DDR-Wirtschaftsmechanismen hinterm Berg. Solches im Buch zu haben, ist ebenso wichtig wie des Kulturwissenschaftlers Dietrich Mühlberg Ahnung, daß angesichts sich zuspitzender Krisenerscheinungen »Praktiken sich als nötig erweisen (könnten), die so gar nicht zu dem heutigen Finanzmarkt-Kapitalismus passen« – »und da sollten wir in der ostdeutschen Geschichte auf Fingerzeige stoßen«. »Jetzt reden wir« ist mit seinen 220 Seiten erst ein Anfang. Rohnstock plant weiter: neue Tagungen und ausführliche Autobiographien. Es lohnt sich, dranzubleiben.

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Dieser Beitrag erschien in der Jungen Welt am 03.02.2014 und ist hier auf www.die-linke-weissenburg.de nachzulesen.

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