Ein Generaldirektoren Erzählsalon

Salons

Erzählsalon vom 16.05.2013 mit Dr. Herbert Richter
Generaldirektor Gaskombinat "Schwarze Pumpe"

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute ist Dr. Herbert Richter unser Gast, der 25 Jahre lang Kombinatsdirektor und GD des legendären Kombinates „Schwarze Pumpe“ war. Damit wurde er nicht nur der wichtigste Mann in der DDR-Gaswirtschaft, sondern als Vizepräsident und späterer Präsident der Internationalen Gasunion (IGU) erhielt er auch international höchste Reputation.

Dr. Herbert Richter ist am 20. 04. 2013 80 Jahre alt geworden – und ich denke, wir dürfen ihm an dieser Stelle noch einmal gemeinsam herzlich dazu gratulieren und ebenso herzlich danken, dass er trotz seiner gesundheitlichen Beschwerden den Weg von Cottbus nach Berlin auf sich genommen hat.

Bei unserem letzten Zusammentreffen diskutierten wir mit Daniela Dahn über ihr neuestes Buch „Wir sind der Staat“ und kamen zur zentralen Frage: Wem gehörten eigentlich die Kombinate? Einer elitären Funktionärsklasse? Dem Politbüro, das in alle Wirtschaftsfragen hineindirigieren konnte? Gab es diesen oft beschworenen Dualismus von Partei und Wirtschaft überhaupt? In seiner Geburtstagsrede sagte Dr. Herbert Richter: „Die Partei saß nicht mit am Tisch, die Partei – das war ich.“

Die Sicht auf die DDR-Wirtschaft verändert sich, je deutlicher der Kapitalismus sein Gesicht zeigt. Waren die Betriebe wirklich des Volkes Eigentum? Woran ist erkennbar, ob ein Betrieb gemeinwohlorientiert produziert, oder letztlich für private Interessen? Die Eigentumsfrage der Produktionsmittel wird uns auch heute, mit Herrn Dr. Herbert Richter, beschäftigen.

Für alle, die heute neu sind, möchte ich noch einmal kurz zusammenfassen, was unser GD-Projekt möchte: Wir wollen den Generaldirektoren ihr Erfahrungswissen „entlocken“, wir wollen es festhalten – ein bisschen so, wie Bertolt Brecht es in seinem Gedicht „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“ beschreibt. Hier reitet ein alter Gelehrter auf seinem Ochsen gemächlich, doch bestimmt aus seinem Land, denn Bosheit regiert dort statt der Güte. Sein Lieblingsbuch, sein Pfeifchen und ein wenig Brot steckt er ein, alles andere trägt er in seinem Kopf. Nun wird er von einem einfachen Zöllner aufgehalten.
„Was ist das mit diesem Wasser, Alter?“
Hielt der Alte: „Interessiert es dich?“
Sprach der Mann: „Ich bin nur Zollverwalter
Doch wer wen besiegt, das interessiert auch mich.
Wenn du´s weißt, dann sprich!

Schreib mir’s auf! Diktier es diesem Kinde!
So was nimmt man doch nicht mit sich fort.
Da gibt’s doch Papier bei uns und Tinte
Und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort.
Nun, ist das ein Wort?“

Wir sind dieser Zöllner, der nachfragt und bewahren will. „Denn“, so schließt Brecht, „man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.“

Nun aber, wie immer, einige biografische Daten zu unserem heutigen Gast. Sie sind in Herbert Richters autobiografischem Büchlein „Lose Blätter“ nachzulesen, das 2004 beim GNN-Verlag Leipzig erschienen ist:

Herbert Richter wird als Sohn eines Bergarbeiters am 20. 04. 1933 in der Niederlausitz geboren und wächst in einem ehemaligen Grubengebäude mitten im Wald mit Hund, Ziegen, Schweinen und einem Plumpsklo auf. Er ergreift eine Lehre als Chemielaborant im Synthesewerk Schwarzheide und wird als Arbeiterkind an die ABF, die Arbeiter-und Bauern-Fakultät in Potsdam, delegiert. Dies wird im Heimatort Klettwitz von einer reichen Bewohnerin kritisch kommentiert: „Dann werden wir ja bald nur noch Straßenfeger haben, die die Straßen nach dem Satz des Pythagoras fegen.“

Diese Deklassierung dringt tief und spornt an: Noch während der ABF stellt Herbert Richter den Antrag, Kandidat der SED zu werden. Die Aufnahme wird abgelehnt wegen „flatterhaften Lebenswandels“. Er versucht, sich zu bessern, doch überzeugen kann er die Genossen vorerst nicht. Nach Stalins Tod, beim Trauerzug durch Potsdam, sprechen viele ihre Betroffenheit spontan ins Mikrofon, Herbert Richter jedoch sagt nur einen Satz: „Ich bitte um Aufnahme in die Partei der Arbeiterklasse.“ Und er wird aufgenommen.

1953 besteht Herbert Richter sein Abitur und wird für ein Studium in Leningrad vorgesehen. Doch der Sieg Ho Chi Minhs über die Franzosen veranlasst die Sowjetunion dazu, mehr Vietnamesen zum Studium zuzulassen und dafür die Studentenkontingente anderer Länder zu kürzen. So steigt er in das bereits laufende Studienjahr an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena ein, um Chemie zu studieren. Nachdem in Merseburg die neue Hochschule für Chemie gegründet worden ist, die eine direkte Verbindung zur Praxis in den Leuna- und Buna-Werken aufbaut, wechselt er gemeinsam mit zwei Kommilitonen nach Merseburg und schließt als Diplomchemiker ab.

Inzwischen ist der flatterhafte Jüngling auch privat bodenständig geworden – mit Edith, einem Mädel aus Klettwitz. Eigentlich sollte es keine vom Dorf sein. Um des Familienfriedens willen lässt sich der Kommunist gar breitschlagen, kirchlich zu heiraten – denn die Schwägerin, die die Patenschaft über die elternlose Edith übernommen hat, will es so. Zwei Töchter gehen aus der Ehe hervor. Nun gilt es, der Familie eine materielle Basis zu schaffen.

Am 01.05.1959 beginnt er in der Forschung der neuen Großkokerei in Lauchhammer zu arbeiten und empfindet es als „besondere Glücksache, in der ersten Kokerei zu arbeiten, in der aus Braunkohle – unserem Heimatschatz – Koks hergestellt“ wird. (Lose Blätter, S. 51). Nicht lange und Herbert Richter steigt zum Abteilungsleiter auf: „Es war die Zeit junger Leute. Die DDR war nun schon wer. Überall wurde gebaut, überall entstand Neues. Die vorhandenen Betriebe waren repariert und rekonstruiert. Die Industrie lief und für diesen neuen deutschen Staat ohne Kapitalisten wurde eine neue komplexe Wirtschaft errichtet. Von Menschen durchdacht, geplant und immer mit dem Ziel, sozialer und gerechter zu sein.“ (Lose Blätter, S. 53).

In Lauchhammer wird erstmalig die großtechnische biologische Reinigung von phenolhaltigem Industriewasser vollzogen – woraus sich viele technologische Fragen ergeben. Das Institut der Akademie der Wissenschaften Leipzig bietet Herbert Richter die Promotion zu diesem Thema an. Neben der Tagesarbeit promoviert er 1963 zum Dr. der Naturwissenschaften (rer. nat.). „Dies gelang nur, weil meine Familie voll zu mir stand: Vernunft, Bescheidenheit, Zusammenhalt“ ist die Devise. Inzwischen ist die Familie in eine 2,5-Zimmer-Wohnung im Neubau gezogen – in eine „dufte“ Hausgemeinschaft, die gerne zuschaute, wenn der promovierte Familienvater Herbert Richter die Straße nach dem Satz des Pythagoras fegte.

Schon bald nach dem Promotionsabschluss wird er in die SED-Bezirksleitung als Sektorenleiter Chemie/Geologie geschickt. „Damit begann ein Abschnitt meines Lebens, der mich aus dem Klein-Klein meiner Vorstellungen herausführte. Langsam bekam ich Übersicht über die wirtschaftlichen Ziele.“ (Lose Blätter, S. 61). Nun lernt er nicht nur alle Chemiebetriebe des Bezirks kennen, sondern auch das Textilkombinat in Cottbus, das Braunkohleveredlungskombinat „Schwarze Pumpe“, die Erdöl- und Erdgaserkundungen und die vielen kleinen privaten Handwerksbetriebe. „Die Partei war Betreuer, Berater und manchmal auch Kontrolleur. Die Realitäten führten oft zu neuen Entscheidungen – das war für mich die Lehrzeit in praktischer sozialistischer Führungstätigkeit – neuzeitlich ausgedrückt: im sozialistischen Management.“ (Lose Blätter, S. 61). Die wichtigste Lehre ist es für ihn, in schwierigen Situationen stets als erstes den Kontakt zu den Arbeitern und Arbeitskollektiven zu suchen.

1966 wird er zum Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung gerufen. Dieser sagte nun zu Herbert Richter – und ich zitiere es hier aus dem Buch, weil es mir so charakteristisch für die Kadergespräche erscheint: „‚Deine Arbeit hier ist nicht schlecht. Du kennst Schwarze Pumpe. Also ab 1. Juli bist du dort Kombinatsdirektor. Ist das klar?’ Schweigen. ‚Ich bin erst 33’, sagte ich und sah ihn fragend an. ‚Na, ich wusste ja, dass du ja sagen würdest.’ Damit war das Gespräch beendet.“ (Lose Blätter, S. 62). Damit beginnt das längste und wichtigste Kapitel im Leben von Herbert Richter – das Kapitel „Schwarze Pumpe“. Doch darüber wird er gleich selbst sprechen.

Nur noch so viel: 1970 wird er mit der Erweiterung des Kombinates zum Gaskombinat zum GD ernannt. Er wird der „Gas-General“. Fast 25 Jahre leitet er die Gaswirtschaft der DDR – bis zu ihrer Auflösung. 1985 wählt ihn die Internationale Gasunion zum Vizepräsidenten und von 1988-1991 zum Präsidenten. Hier erarbeitet er sich große internationale Achtung. Im Juni 1988 kommt der Höhepunkt seiner außenpolitischen Laufbahn – er wird in Washington vom 17. Weltkongress einstimmig zum Präsidenten der IGU bis 1991 gewählt und zusammen mit seiner Frau Edith zum Pressetermin mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan vor die Kamera gebeten. Dieses Foto ist auf dem Einband seines Buches – wurde in der DDR jedoch nie veröffentlicht. Zu viele höchste Politiker hatten davon geträumt, mit dem US-Präsidenten aufs Foto zu kommen.

Dies weiß ich aus der Geburtstagslaudatio von Dr. Seifert, die mir der Vorsitzenden des Traditionsvereins „Glückauf Schwarze Pumpe“ freundlicherweise zur Verfügung stellte und woraus ich noch drei Stellen zitieren möchte:
„Fest steht – Herbert Richter war und ist von der Machbarkeit der kommunistischen Grundidee – der sozialen Gleichheit aller, dem Aufbau einer sozialen Gesellschaft – überzeugt! Er war in seiner Arbeit immer Politiker und Manager in einem.“
„Er war vor allem auch Kumpel – 24 Jahre Generaldirektor, immer mitten in der Belegschaft und er war ein großer Taktiker – im Bedarfsfall auch Meister der Selbstkritik. Es mussten große Ascheeimer besorgt werden, wenn Herbert Richter Selbstkritik übte.“
„Herbert Richter hat im Herbst ’89/Frühjahr ’90 nicht an das Ende der DDR geglaubt. Er wollte einen reformierten, weltoffenen und wirtschaftlich flexiblen Staat – mit großen Kombinaten als Rückgrat der Volkswirtschaft.“

Seitdem er in Rente ist, berät und leitet er Forschungsstudien an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus und er leitet Anlagenbauprojekte für die Firma ARCUS Planung + Beratung Bauplanungsgesellschaft Cottbus. Er pflegt seine Kontakte zu den Werkdirektoren und kümmert sich um den Traditionsverein „Glückauf Schwarze Pumpe“, dessen Gründung er mit initiierte. Er möchte die Leistungen des Gaskombinates bewahren – sie sind Anerkennung und Ehrung der Arbeit Tausender Menschen.

- Katrin Rohnstock -

zurück

Dr. Herbert Richter hält seinen Vortrag im Salon von Rohnstock Biografien

Dr. Herbert Richter hält seinen Vortrag im Salon von Rohnstock Biografien