Ein Generaldirektoren Erzählsalon

Salons

Erzählsalon vom 10.01.2013 mit Dr. Winfried Sonntag
Generaldirektor der VVB Automobilbau

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass wir heute zu unserem zweiten GD-Salon Dr. Winfried Sonntag – Technischer Leiter, GD der VVB Automobilbau und später Entwicklungsleiter der VW-Motoren-Lizenz-Projektes - als Gast begrüßen dürfen. Wie in kaum einer anderen Biografie spiegelt sich in seiner Berufsbiografie die Entwicklung des DDR-Automobilbaus. Seit der Gründung der DDR bis zu ihrem schmerzlichen Ende hat er dort in verschiedenen leitenden Positionen gearbeitet. Er ist der Nestor der Automobil-Industrie der DDR.

Bevor ich Winfried Sonntags Entwicklungsweg genauer vorstelle, möchte ich kurz etwas zur Intention dieser Salon Reihe der Generaldirektoren sagen: Wir möchten erkunden, wie die DDR-Wirtschaftslenker im Spannungsfeld zwischen Planauflagen und sozialen Aufgaben die volkseigene Wirtschaft gestalteten. Wir möchten wissen, wie sich die Bedingungen entwickelten. Wir wollen wissen, welche Konflikte es gab. Konflikte sind Triebkräfte für Entwicklung. Aus der Erinnerung betrachtet, und wir hören hier nur Erinnerungen, sind Konflikte der Stoff für die Konstruktion von Geschichten. Wir können erzählen, wie Konflikte entstehen, sich zuspitzen und letztlich gelöst werden – so entsteht der Spannungsbogen einer Geschichte. Wenn die Lösung positiv gewertet wird, dann gibt es ein Happy end – was wir uns alle wünschen. Doch leider endet so manche Geschichte auch unerfüllt, unglücklich oder gar in der Katastrophe, dann sprechen wir von einer Tragödie. Diese Beschreibung einer „Geschichte“ und ihre Klassifikation ist über 2000 Jahre alt und stammt von Aristoteles. Ich sage das hier nicht, um Sie mit literaturwissenschaftlichen Theorien zu traktieren, sondern, weil ich Sie ermutigen möchte, von Konflikten zu erzählen. Über die Konflikte lernen wir die Bedingungen, unter denen gewirtschaftet wurde, in ihrer Komplexität kennen – und können sie besser begreifen.
Natürlich sind die Sichten auf die Entwicklungen unterschiedlich und subjektiv. Deshalb freue ich mich, dass Professor Jörg Roesler wieder hier vorn sitzt. Als renommiertester DDR-Wirtschaftshistoriker wird er die Erzählungen von Winfried Sonntag aus seiner wirtschaftshistorischen Gesamtsicht ergänzen.

Wir tauchen in die Vergangenheit nicht zum Selbstzweck, sondern um ein Bild davon zu entwerfen, in welchem Verhältnis die Ansprüche, Wünsche, Ziele des DDR-Wirtschaftens zu den Bedingungen ihrer Realisierungen standen.
Wir möchten Ihre Erfahrungen kennenlernen, um Ideen für eine Zukunft zu entwerfen, die jenseits des profitorientierten Wirtschaftens liegt. Denn müssen wir nicht, angesichts der Finanzkrise und des Auseinanderdriftens von Arm und Reich das gemeinwohlorientierte Wirtschaften der DDR neu besichtigen?
Und möchte man nicht vor der Folie des Versagens beim Flughafenbau am liebsten rufen: „Zurück zum Plan“? Sollten wir nicht den von GD Manfred Dahms auf unserer Tagung im September geäußerten Vorschlag aufgreifen und den Verantwortlichen den Krisenmanager GD Eckhard Netzmann antragen? Könnte er mit einer Handvoll seiner kollektiv-trainierten Kollegen den Flughafenbau zu einem glücklichen Ende bringen oder muss das Vorhaben in der Katastrophe landen?

Von Fehlinvestitionen und abgebrochenen Projekten kann unser heutiger Gast auch ein Lied singen:
Bevor Winfried Sonntag 1968 GD der VVB wurde – der Vereinigten Volkseigenen Betriebe Automobilbau – mit insgesamt 105 000 Mitarbeitern, hatte er sich von der Pieke auf hochgearbeitet.

Er wächst als ältester von zwei Geschwistern auf: Sein Vater ist Glasmaler und als in der Wirtschaftskrise niemand mehr buntgemalte Kirchenfenster braucht, geht er 1926 zu Horch. Der Sohn Winfried tritt in Vaters Fußstapfen und absolviert nach der Volksschule 1938 eine Lehre als Werkzeugmacher bei Horch. Er besucht parallel die Gewerbeschule und erhält durch einen „sehr gut“ bestandenen Berufswettbewerb eine Delegierung zur Ingenieurschule für Luftfahrttechnik nach Thorn. Diese besucht er vier Semester, bis er 1943 zur Wehrmacht einberufen wird. Über die Fliegertechnische Schule kommt er zu den Fallschirmjägern. Am 28.2.1945 gerät er in sowjetische Gefangenschaft und wird gemeinsam mit 900 anderen Männern in der ANTIFA-Schule neun Monate lang einer Gehirnwäsche unterzogen. Unter den schwierigsten Bedingungen; in Ermangelung von Papier schreiben sie auf Glas. 

Nach 3 Monaten in Moskau kommt er in eine Baubrigade in Stalinogorsk – und muss im Schacht bei der Kohleförderung arbeiten. 1949 wird er, geläutert und geheilt von faschistischen Ideen, entlassen. Er geht nach Zwickau zurück.

Nach 1945 fehlte es in der SBZ an Zulieferindustrie. Diese stand im Westen und musste im Osten erst von 1948 bis 1968 aufgebaut werden. Winfried Sonntag steigt als Teilkonstrukteur im Horch-Werk wieder ein, absolviert die IFA-Ingenieurschule und wird 1954 zum Direktor für Technik im IFA Kraftfahrzeugwerk Audi Zwickau berufen.
Dort wird er verantwortlich für die Entwicklung des P 50 und P70. (Der P 70 ist eine Schwarzentwicklung – aus dem Paradefahrzeug von Verteidigungsminister Hofmann).
1958 erhält er den Auftrag mit einer Arbeitsgruppe die Zusammenlegung der beiden Zwickauer Werke – Horch und Audi – zu konzipieren und vorzubereiten. Von der Zusammenlegung erhofft man sich die Produktion von mehr Autos. Im zusammengelegten Werk, das nun unter dem Namen VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau firmiert – wird er Direktor für Technik. Zur Gründung der VVB Automobilbau Zwickau wurde auch ein gemeinschaftliches Wissenschaftlich-technisches Zentrum (WTZ) gebildet, als dessen Betriebsdirektor er eingesetzt wird.

1968 werden Sie zum GD der VVB berufen und damit verantwortlich für die gesamte Automobilindustrie in der DDR. Über diese Zeit bis 1978 werden Sie gleich ausführlich zu Wort kommen.
Doch ich will Ihre Berufsgeschichte noch schnell zu Ende erzählen: Als 1978 auf Politbüro-Beschluss – unsinnigerweise, wie Sie meinen - die VVB in vier Kombinate zerlegt wird, werden Sie nicht zum GD eines Kombinates berufen, sondern wieder Betriebsleiter des WTZ und stellvertretender GD des IFA-PKW-Kombinates.
Nun, mit etwas mehr Zeit, absolvieren Sie 1978 Ihren Abschluss als Diplom-Ökonom. 1987 bekommen Sie den Titel Dr. oec. verliehen.
In den ersten 20 Jahren der DDR gab es – sehr zu ihrem Leidwesen – in der Automobilbranche nie genügend Investitionsmittel – was sich ab 1983 völlig änderte. Da nämlich werden Sie Auftragsleiter für die auf 3,2 Mrd. (und sich letztlich auf 9 Mrd. belaufende) geplante Investition des Lizenz-Vorhabens, in der DDR den VW-Motor für Trabant und Wartburg zu bauen. Ein vergleichbar kompliziertes Projekt wie der Flughafenbau heute – doch es endet 1988 mit der Inbetriebnahme der Alfamotorenfertigung (vorübergehend) glücklich – und erfolgreich, und Sie gehen 1990 mit 66 Jahren in Rente.

Wir wollen genau in dem Moment in ihr Leben einsteigen, als ihr Chef 1968 in Rente geht und Sie zum GD der VVB berufen werden.

- Katrin Rohnstock -

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GD-Salon mit Dr. Winfried Sonntag

GD-Salon mit Dr. Winfried Sonntag

Dr. Winfried Sonntag erzählt aus seiner Zeit bei der VVB Automobilbau

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... und bringt Fotos und Gegenstände mit, die seinen Vortrag noch anschaulicher werden lasse

... und bringt Fotos und Gegenstände mit, die seinen Vortrag noch anschaulicher werden lasse