Erzählsalon vom 22.05.2017 mit Karl Nendel im Café Sibylle
Buchpremiere der Autobiografie "Karl Nendel - General der Mikroelektronik"
Lieber Karl Nendel, verehrte Gäste,
das Buch, dessen Premiere wir heute feiern, musste lange auf seine Fertigstellung warten. Begonnen hat es mit einem Generaldirektoren-Vortrag in unserem Rohnstock-Salon in der Schönhauser Allee in Berlin. Dort veranstalten wir seit September 2012 einmal im Monat einen Generaldirektoren-Salon, wo jeweils ein Kombinatsdirektor seine Biografie und die Geschichte seines Kombinats vorstellt.
Am 12. September 2013 erzählten der ehemalige Generaldirektor des VEB Kombinats Mikroelektronik Erfurt Rainer Jüngel und sein Stellvertreter Werner Prischmann über das Kombinat und die Entwicklung der Mikroelektronik. Auch Karl Nendel kam als Gast dazu. Im Anschluss an die Veranstaltung unterhielten wir uns in kleiner Runde, bei Wein, Brot und Käse. Während unseres Gesprächs wurde mir klar, welcher Schatz in den Erinnerungen Karl Nendels liegt. Wer, wenn nicht er, konnte besser mit den Mythen um die Entwicklung der Mikroelektronik aufräumen? Wer konnte besser die Schwierigkeiten darstellen?
Die Idee war geboren: Karl Nendel wollte seine Lebensgeschichte erzählen. Die ersten drei Interviews führte ich mit ihm im Oktober und November 2013 bei ihm zu Hause in Müncheberg. Es folgten drei weitere Interviews mit Ralf Pasch, unserem Autobiografiker, im März und April 2014. Parallel zu den Interviews recherchierten wir die historischen Fakten - eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, da bis heute keine ausführliche "Geschichte der DDR-Mikroelektronik" existierte. All die mündlichen Erzählungen brachte Ralf Pasch in eine Erstfassung. Während der Entstehung dieser Erstfassung, erlitt Karl Nendel einen Schlaganfall. Wir dachten, es geht nicht mehr weiter.
Karl Nendel fiel es schwer, sich an genau Jahreszahlen zu erinnern. Deshalb machte ich ihm den Vorschlag, Spezialisten aus dem Kreis der Generaldirektoren-Salons einzubeziehen. Sie erklärten sich bereit, Nendels Erinnerungen mit den historischen Exkursen zu unterfüttern, die es dem heutigen unwissenden Leser ermöglichen, die beschriebenen Vorgänge leichter zu verstehen. So entstand in kollektiver Arbeit das Manuskript.
Ich danke Karl Nendel, dass er sich auf dieses Experiment eingelassen hat. Vielen Dank auch für den Mut, diese deutungsmäßig heiß umkämpfte Thematik nach so vielen Jahren noch einmal anzufassen, insbesondere nach der Verurteilung durch das Berliner Landesgericht. 1998 wurde ihm, wegen Verletzung des Embargos, auf Grundlage des 1946 erlassenen Militärratsgesetzes, der Prozess gemacht und er wurde auf Bewährung verurteilt.
Danke, für die immense Anstrengung, uns Ihre Sicht darzulegen. Sie mussten fürchten, dafür wieder angegriffen zu werden. Ihre Weggefährten haben nicht zu sprechen gewagt.
Das Buch zeichnet ein differenziertes Bild der Entwicklung der DDR-Mikroelektronik, nicht zuletzt wegen Ihrer großartigen Fähigkeit, Widersprüche exakt und ungeschminkt auf den Punkt zu bringen. Viele sagen, das sei Schnee von gestern. In unseren Augen ist jedoch sehr wichtig, dass die DDR zeithistorisch auf differenzierte und klischeefreie Weise betrachtet wird. Gabriel García Marquez, kolumbianischer Literaturnobelpreisträger, sagte einmal: "Das Leben besteht nicht einfach darin, dass man einmal lebte, sondern, dass man sich erinnert und wie man sich daran erinnert, um davon zu erzählen."
Ich möchte ganz herzlich allen Mitstreitern danken, die an der Fertigstellung des Buches mitgewirkt haben und ihr Erfahrungswissen einbrachten: Professor Jörg Roesler, der als Wirtschaftshistoriker auch regelmäßig unsere Generaldirektoren-Salons bereichert, Herbert Roloff, Hermann Leihkauf, Walter Siegert, Manfred Dahms, Uwe Trostel, Werner Prischmann, Jens Knobloch, Günter Kretschmer, Wolfram Adolphi und Christa Luft. Ein wahres Kollektivwerk - genau wie die Mikroelektronik.
Entstanden ist ein Buch, das eine Fundgrube für all jene ist, die sich für die Entwicklungszusammenhänge der DDR-Wirtschaft interessieren, denn die Mikroelektronik war eine Schlüsselindustrie. Es berichtet von der Strukturentwicklung, es deckt Zusammenhänge von Wirtschaft und Politik auf, die in der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbekannt sind. Es entglorifiziert das NÖS (Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung), es bringt Licht in die Beziehungen zwischen Ulbricht und Chruschtschow, Honecker und Breschnew. Es entmystifiziert Apel und Hartmann.
Sich in die Materialflut hineinzuarbeiten und dabei nicht zu ertrinken, eine Struktur herauszuarbeiten, war wahrlich eine Sisyphusarbeit. Dafür möchte ich Ralf Pasch ganz herzlich danken.
Wir wünschen dem Buch, dass es die Debatten um die Leistungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft am Beispiel der DDR-Mikroelektronik anfacht und weiter vorantreibt. Wir wünschen Karl Nendel, dass er Freude an dem Buch hat. Seine Erfahrungen sind damit keineswegs erschöpfend mitgeteilt.
Lieber Karl Nendel, Sie haben nicht mehr daran geglaubt, dass das Buch fertig wird und bei einem Verlag erscheint. Es ist ein bisschen wie mit einem 1-Megabit-Speicherchip - daran haben auch viele nicht geglaubt. Doch wir haben es geschafft, gemeinsam.
- Katrin Rohnstock -