Ein Generaldirektoren Erzählsalon

Salons

Erzählsalon vom 20.03.2014 mit Wolfgang Neupert
Generaldirektor VEB Kombinat Sportgeräte Schmalkalden

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, Ihnen heute innerhalb unserer Salon-Reihe »Generaldirektorenerzählen« mit Wolfgang Neupert einen ganz besonderen Gast vorstellen zu dürfen. Dies begründet sich zum einen aus seiner Herkunft und zum anderen aus der sehr speziellen Mischung an »Waren«, für deren Produktion und Absatz er in der DDR oberste Verantwortung trug. Denn: Wolfgang Neupert kommt aus der – wie es inder DDR so schön hieß – Autonomen Volksrepublik Vogtland und zwar aus dem Sächsischen Teil. Die Herkunftsregion liegt zumindest teilweise nahe, dass er zeitweise die Herstellung von Musikinstrumenten in der DDR verantwortete, darüberhinaus aber auch für Kulturwaren und Sportartikel zuständig war. Manchmal fast alles gleichzeitig, aber nicht auf einmal ...

Doch erzählen wir der Reihe nach.

Zuvor sei aber noch angemerkt, dass Wolfgang Neupert über sich sagt, es habe ihn in seinem Leben nicht unbedingt nach höheren Funktionen gedrängt, vielmehr seien die Aufgaben stets irgendwie auf ihn zugekommen. Die jeweilige Verantwortung habe er aber dann gern auf sich genommen.

Geboren wurde Wolfgang Neupert am 18. November 1931 in Plauen, wo er heute nach wie vor gern lebt. In die vogtländische Hauptstadt ist er nach beruflich bedingten Abstechern in Berlin, Leipzig und Schmalkalden wieder zurückgekehrt. »Vogtländerzieht es eben immer in die Heimat«, so kommentiert unser heutiger Gast seine Heimatverbundenheit.

WolfgangNeupert stammt aus einer Arbeiterfamilie. Sein Vater, ursprünglich Gießer, arbeitete als Busfahrer; die Mutter hatte insgesamt drei Kinder zu versorgen, schuftete nach dem Krieg als «Trümmerfrau« und war später unter anderem alsVerkäuferin tätig. Wolfgang Neupert kann von einem harmonischen Familienleben unter einfachen Bedingungen berichten. Die prägende Besonderheit: Er wurde in einer passionierten Sportlerfamilie groß. Mutter und Vater waren in bester Tradition des im Volksmusik als »Turnvater« bezeichneten Friedrich Ludwig Jahn fast 80 Jahre aktive Turner, zuletzt als Kampfrichter engagiert dabei. Alle gesellschaftlichen Veranstaltungen, die der junge Wolfgang erlebte, hatten meistens etwas mit Sport zu tun. Als Kind ging Wolfgang Neupert anfangs ebenfalls unter die Turner, spielte dann aber 15 Jahre lang aktiv Handball – und resümiert über diesen Sport: »Damals musste man gut springen, rennen und werfen können; heute braucht man für diesen Sport die Härte eines Eishockeyspielers!«

In Plauen besuchte der junge Wolfgang die Volksschule bzw. Hauptschule. Der Abschluss der mittleren Reife erfolgte an der Wirtschaftsschule. 1950 schließlich machte Wolfgang Neupert an der Plauener Fachschule für Wirtschaftund Verwaltung sein Abitur.

Sofort nach dem Abi wagte er die ersten berufliche Schritte im Handel – als ›Kontorist und Gruppenleiter für Kalkulation und Preisfestsetzung bei der Einkaufsaußenstelle Plauen der zentralen Leitung der HO‹, sprich: bei der staatlich-geführten Handelsorganisationder DDR.

In den Jahren 1952/53 verschlug es Wolfgang Neupert nach Berlin. Mit Anfang Zwanzig wurde er Inventurleiter, Instrukteur und in der Folge Leiter des HauptreferatsPreise in der Zentralverwaltung der HO Sportartikel innerhalb des Ministeriumsfür Handel und Versorgung. Herr Neupert war beteiligt am Aufbau der HO SPOWA, ausführlich sprich: am Aufbau der speziellen Handelsorganisation Sportwaren.

In den beiden Berliner Jahren fuhr Herr Neupert übers Wochenende möglichst oft nach Plauen nach Hause. Im Zug machte er die Bekanntschaft mit Leuten der Vereinigung Volkseigener Betriebe (kurz: VVB) Musik-Kultur Plauen, diese erzähltenihm von den Problemen ihrer Arbeit und weckten sein Interesse. In ihm reifte der Entschluss, sich bei dieser VVB zu bewerben; außerdem konnte er so seinem Handballklub treu bleiben. 1953 war es soweit: Wolfgang Neupert wurde Sachbearbeiter für organisatorische Vorplanung, Arbeitskräfteplaner und stellv. Ökonomischer Leiter der VVB Musik-Kultur Plauen, was er bis 1956 blieb. Für diese Arbeit in seiner Heimatstadt, der Hauptstadt der Musikinstrumente-Industrie der DDR, brachte er mehr Handelserfahrungen als musikalischen Sachverstand ein. Immerhin: Als Vogtländer konnte er etwas Akkordeon und Mundharmonika spielen...

1956 stellte sich Wolfgang Neupert der nächsten Anforderung: Er arbeitete als Absatzleiterim Ministerium für Leichtindustrie, Hauptabteilung Verwaltung Musikinstrumente und Kulturwaren, am Standort Leipzig.

Ab dem gleichen Jahr trug Wolfgang Neupert – wie so viele seiner Generation – eine doppelte Last. Nach der täglichen Arbeit machte er in Abend- und Wochenendstunden sein Diplom – im Hochschul-Fernstudium an der Hochschule für Ökonomie (HfÖ) Berlin, in der Fachrichtung Industrieökonomik. 1961 hielt er die Urkunde als »Diplom-Wirtschaftler« in den Händen.

Parallel führte ihn sein beruflicher Weg 1958 wieder zurück nach Plauen, wo er bis 1964 als Absatzleiter und ökonomischer Leiter der VVB Musikinstrumente und Kulturwaren Plauen fungierte.

1964 erfolgte seine Berufung als Direktor für Beschaffung und Absatz dieser VVB und 1970 diezum Direktor für Produktion, Beschaffung und Absatz.

1969 betraute die DDR Wolfgang Neupert zusätzlich mit einer wichtigen außenhandelspolitischen Verantwortung – er wurde Direktor der bekannten Branchenausstellung für DDR-Freizeiterzeugnisse EXPOVITA im Rahmen der alljährlichen Leipziger Herbstmessen. Diese Aufgabe wusste man bis 1990 in seinen Händen gut aufgehoben.

Im Jahr 1970 wurde Wolfgang Neupert schließlich die Verantwortung als 1. Stellvertreter des Generaldirektors der VVB Musikinstrumente und Kulturwaren Plauen übertragen. Im Bereich der Musikinstrumente umfasste die Produktion der VVB alles vom Klavier bis zu Einzelteilen wie Geigenbögenund Musiksaiten, wobei man sich die Herstellung von Musiksaiten technologisch ähnlich aufwendig wie die von chirurgischem Nahtmaterial vorstellen muss. Unter dem Begriff Kulturwaren waren unteranderem die gesamte Schmuckindustrie, die Schreibgeräteindustrie, die Fertigungvon Bürsten und das Kunstgewerbe wie u. a. die Erzgebirgische Holzschnitzkunst sowie anfangs – bis zur eigenen Kombinatsbildung – auch die gesamteSpielwarenindustrie zusammengefasst. Wenn man so will, sagt Wolfgang Neupert,verantwortete die VVB »ein riesiges Warenhaus-Sortiment« und stellte einen sehrspezifischen Wirtschaftsverbund mit Groß- und Kleinbetrieben sowie äußerst kleinteiliger Spezialfertigung dar. Die VVB verfügte über rund 12.000 Beschäftigte und zählte etwa 20 Betriebe. Wolfgang Neupert meint, die Planwirtschaft konnte hier zwar Eckpunkte vorgeben, alles andere war aber »Unternehmertum« im besten Wortsinne – daher lassen sich seiner Ansicht nach Führungskräfte und Generaldirektorenvon VVB und DDR-Kombinaten – wie oft kolportiert – nicht auf Befehlsempfänger innerhalb der Planwirtschaft reduzieren. Rückblickend bezeichnet Wolfgang Neupert seine Jahre als Direktor für Produktion, Beschaffung und Absatz sowie als 1. Stellvertreter des Generaldirektors als »seine schönste Zeit«, denn –ich zitiere –: »mein Generaldirektor ließ mir freie Hand bei der inhaltlichen Lösung der Probleme.«

Doch »einmal Stellvertreter – immer Stellvertreter« galt für Wolfgang Neupert nicht: 1977 wurde er zum Generaldirektor der VVB Musik-Kultur berufen. Im Zusammenhang mit der Kombinatsbildung wurde diese Vereinigung Ende 1980 aufgelöst. Doch Herr Neupert hatte sich neben seiner beruflichen Tätigkeit dort inzwischen auch in anderer Hinsicht einen Namen gemacht: 1974 hob er als Kuratoriumsmitglied dieVogtländischen Musiktage Klingenthal-Markneukirchen mit aus der Taufe – eine Funktion, die er ebenfalls bis 1980 inne hatte.

Und das Jahr 1980 brachte erneut eine entscheidende Zäsur in Herr Neuperts Leben,verbunden mit einem Arbeitsplatz- und Wohnortwechsel. Am Rande der OlympischenSommer-Spiele in Moskau stellte die dort versammelte politische und sportpolitischeProminenz der DDR auf einem internen Treffen plötzlich fest, »dass es in unseremSportland DDR eigentlich unmöglich ist, dass wir kein Sportgeräte-Kombinathaben«. Relativ kurzfristig – innerhalb eines halben Jahres – wurde diesesKombinat geschaffen und Wolfgang Neupert verschlug es im Januar 1981 mithöherem Auftrag nach Schmalkalden – als Generaldirektor des neuen VEB KombinatSportgeräte GERMINA, fortan eines der größten Sportartikelproduzenten der Weltund ein wichtiger Exporteur der DDR-Volkswirtschaft. Wolfgang Neupert befandsich nun auch ständig im Blickfeld von Berlin – einerseits ging es der strengenVolksbildungsministerin um die Ausstattung der Schulen mit Sportgerät – dieEinweihung einer neuen Schule mit einer Turnhalle ohne Sportgerät warundenkbar! -, andererseits im Blickfeld vieler führender Genossen undSportfunktionäre, denen ging es um bestes Gerät für den DDR-Spitzensport. SchwerwiegendeKonflikte des Genossen Neupert mit der SED-Wirtschaftsführung blieben dennochaus, weil sein Kombinat beständig den devisenträchtigen Exportplan erfüllte undNeupert für das Ranking innerhalb der Kombinate stets den Rat einesbefreundeten Genossen beherzigte, der lautete: »Gehöre nie zu den drei bestenund nie zu den letzten zehn ...« Denn an denen probierte die SED ihreFührungsarbeit aus und das fand Neupert zu billig, fast schäbig.  Aber genug meiner Worte – Herr Neupert, Sie haben das Wort.

- Bettina Kurzek -

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Wolfgang Neupert erzählt seinen Werdegang.

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Bettina Kurzek stellt dem Publikum den Gast vor.

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Herr Prof. Dr. Roesler legt seine Expertensicht dar.

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